10.04.2024 - Bildung

Hochschulstadt Görlitz – mehr als ein Schild

Motor-Montag im Siemens Energy CoWorking Space. Thema ist diesmal unsere Hochschule. Motor-Sprecher Axel Krüger erinnert, dass Görlitz und Zittau die Hochschule viele Jahre nicht als integralen Bestandteil erkannt und entsprechend gepflegt hätten. „Jetzt steht Hochschulstadt bald am Ortseingangsschild. Das aber allein wird nicht reichen.“
Moderiert vom Görlitzer Innovationsberater Christoph Scholze berichtet Sophia Keil, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Prorektorin Bildung und Internationales über den Wandel an der Hochschule. „University for future“ heißt der Beteiligungsprozess. Was wünschen sich junge Leute, die hier studieren, von der Hochschule der Zukunft? Wie sehen das die Beschäftigten, die Professorinnen und Professoren? Und welche Wünsche und Ideen kommen aus dem Umfeld, den Unternehmen, der Gesellschaft? Sophia Keil möchte keine umzäunte Hochschulinsel. Sie möchte schnell und effizient Innovationen aus der Hochschule und Forschungseinrichtungen ins echte Leben transferieren. „Innovations-Hub“ nennt sich das heute.


HSZG als Impulsgeberin
In einer sich rasant wandelnden Welt ist es wertvoll, wenn man eine Hochschule in der Stadt hat. Die HSZG unterstützt nicht nur, sie gibt Impulse. Beispiel Digitalisierung: Im Labor SCO-TTi, angesiedelt im Wirtschaftsingenieurwesen, werden Dinge entwickelt, die sofort in der Wirtschaft eingesetzt werden können. Mit Hilfe moderner Technik werden Produktionsumgebungen digitalisiert, so dass stets „Exkursionen“ in die Arbeitswelt möglich sind, ganz unabhängig von Ort und Zeit. Virtuelle Welten sind ebenso interessant, wenn es um das Trainieren von Wartungen über große Entfernungen geht. Im Blickpunkt stehen auch Mensch-Maschine-Themen. Die reichen von tiefgreifenden ethischen Fragen bis zu ganz pragmatischen Untersuchungen: Wie fühlt sich eine VR-Brille für einen Monteur im Arbeitsalltag an? Sophia Keil sagt aber auch: „Nicht jede technische Innovation ist in jedem Oberlausitzer Unternehmen nötig.“

 

 


Motor-Sprecher Axel Krüger eröffnet. Neben ihm Dr. Jana Krauß (Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne im Stadtrat) und Prof. Martin Goldfriedrich von der HSZG.

 

Was kann „die Stadt“ tun?
Dr. Jana Krauß, Vorsitzende der Stadtratsfraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne, lässt gar keinen Zweifel aufkommen, wie wichtig die HSZG für Görlitz und die Region ist: „Die Hochschule passt zu uns, sie ist praktisch ausgerichtet. Hier bilden wir Spitzenleute für die Region aus.“ Sie sieht die Hochschule für die Zukunft gut aufgestellt, da viele Transformationsthemen bereits abgebildet sind. „Görlitz als Stadt kann daran arbeiten, damit sich mehr Leute für Transformationsthemen interessieren.“ Orientieren könne man sich am Projekt TRUST, wo ganz unterschiedliche Akteure aus der Stadtgesellschaft gemeinsam daran arbeiten, wie konkret eine klimaneutrale Stadt entsteht.

 

 

 

Hausaufgaben erledigen
Einig ist sich die Runde, dass wir für einen erfolgreichen Strukturwandel Hausaufgaben lösen müssen. Das Thema „Lehrermangel“ nimmt den Raum ein. Die Sorge ist greifbar, dass Görlitzer Kinder benachteiligt werden, weil selbst wichtige Fächer wie Mathe in Größenordnungen ausfallen. „Wenn wir den Lehrermangel nicht angehen, brauchen wir über Strukturwandel nicht weiter reden. Wissenschaftsfamilien kommen nicht, wenn Mathe und Physik ausfallen und es einen massiven Bildungsnachteil gibt“, sagt Prof. Sophia Keil.
Als Macherin arbeitet sie an Lösungen. Eine davon sind „Zukunftslernorte", an denen junge Leute für MINT-Themen begeistert werden. Teils in stationären Laboren, wie ab 2025 die Junior Academy in den Zittauer Mandauhöfen. Teils als mobile Angebote. Auch in Görlitz wünscht sich die HSZG ein Zukunftslabor. In Abstimmung mit den Forschungseinrichtungen CASUS und DZA soll es um das I in MINT gehen – Informatik. Aktuell hapert es an Rahmenbedingungen. Die Hochschule bekommt keine zusätzlichen Flächen genehmigt. Die Stadt müsste helfen und eine entsprechende Fläche anmieten. Das wäre nur fair, schließlich unterstützt die Hochschule den Görlitzer OB seit 2019 bei der Umsetzung von Projekten. Nicht nur der Zukunftslernort (früherer CDU-Arbeitstitel: „Experimentierhaus“) als auch die bereits tätige Film-Akademie wäre ohne die HSZG nicht denkbar.

 


Prof. Sophia Keil und Moderator Christoph Scholze

 

Lehrerausbildung in Görlitz
Klar ist, dass die Zukunftslernorte allein nicht den Stundenausfall kompensieren. Genauso wenig wie die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern an der Hochschule Zittau-Görlitz. Dennoch ist dieser Studiengang mit großer Hoffnung verbunden. Prof. Martin Goldfriedrich hat dafür an der Hochschule den Hut auf. Das Thema bewegt die HSZG schon länger. Knackpunkt war immer, dass es sich beim Lehramtsstudium um eine universitäre Ausbildung handelt. Es braucht eine Partner-Uni (und Rückenwind von der Politik). Seit rund eineinhalb Jahren geht es endlich besser voran. Es gibt konkrete Vorstellungen. Angeboten wird ein Lehramtsstudium für Oberschule mit den Fächern Deutsch, Mathematik, Biologie und WTH. Man hat sich am Bedarf und den eigenen Kompetenzen orientiert aber auch an der Attraktivität für Studentinnen und Studenten. So wird man in Görlitz Sonderpädagogik (Förderschule mit Förderschwerpunkt Lernen) belegen können. Für die Umsetzung der guten Konzepte braucht es Ressourcen. Klappt es damit, könnte der Startschuss im Wintersemester 25/26 erfolgen.

 


Fishbowl sieht Mangel
In der zweiten Halbzeit bleibt es zwar beim Thema „Bildungskrise“ aber körperlich kommt Bewegung in die Runde. Beim Fishbowl-Format gibt es einen freien Sessel im Podium. Wer einen Beitrag hat, gesellt sich in die Runde. Marc Höppner, Software-Ingenieur und Motor-Kandidat für den Stadtrat, hat zwei schulpflichtige Kinder und kennt die Ausfallzeiten. Er fragt sich, ob die vorgestellten Ansätze überhaupt reichen, um den Mangel zu beheben?
Martin Goldfriedrich bestätigt, dass man mit 60 Lehramts-Studierenden in Görlitz nicht den gesamten MINT-Bedarf decken wird. Damit der pädagogische Nachwuchs früh Praxisbezug bekommt, strebt die HSZG einen praktischen Wochentag an. Das würde die Schulen bereits unterstützen.

 

 


Stadtratskandidat Marc Höppner, zweiter von links, eröffnet die Fishbowl-Runde.


Stadtratskandidatin Melanie Morche, selbst im sozialen Bereich tätig, wünscht sich, dass mehr Lehrerinnen und Lehrer mit dem Förderschwerpunkt emotionale-soziale Entwicklung ausgebildet werden. Prof. Goldfriedrich (Heil- und Inklusionspädagogik, Schwerpunkt Erziehungswissenschaften) bestätigt, dass „die Diagnosezahlen in diesem Bereich steil nach oben gehen“. Aus seiner Sicht sei der Schwerpunkt Lernen für den ersten Schritt dennoch richtig. Emotional-soziale Entwicklung könne später hinzukommen. Melanie Morches zweiten Wunsch nach mehr Teamgeist in den Lehrerzimmern, nach mehr positivem Miteinander, unterstützt Martin Goldfriedrich. Es brauche dafür eine positive Einstellung multiprofessionellen Teams gegenüber. Und das gemeinsame Ziel, jungen Menschen etwas zu vermitteln – Rückgrat kann man es nennen, oder auch Einstellung und Haltung.


Raimund Kohli (Autohaus-Besitzer) wünscht sich statt Unterrichtsausfall regelmäßige Praktikumstage. Damit unterstützt der Motor-Kandidat für den Stadtrat die Positionen des Kreiselternrats und der Unternehmerverbände. Vier Tage Schule, ein Tag Praxisluft in Unternehmen. Könnte sinnvoll sein für Klasse 9. Wurde und wird auch immer wieder durchgeführt, aber nicht systematisch koordiniert. Überforderung droht sowohl auf Seiten der Schule als auch der Unternehmen. Hier könnte der Freistaat mit einem punktgenauen Programm unterstützen.

 

 


Prof. Martin Goldfriedrich


Ein Glücksfall
Am Ende des Motor-Montags hat sich die Runde klar entschieden, was sie besonders bewegt: Die Bildungschancen der Görlitzer Kinder und Jugendlichen. Dass dabei Zukunftsthemen der Hochschule etwas kurz kamen, zeigt, dass hier der Schuh besonders drückt. Prof. Martin Goldfriedrich gelingt es, einen Bogen zu schlagen, von der Betrachtung unserer Defizite zu den Möglichkeiten der Technologie: „Künstliche Intelligenz kann Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützen, die Kinder und Jugendlichen ganz individuell zu fördern.“
Wir haben viel zu tun. Und sind nicht allein. Ist es nicht beneidenswert, in einer Zeit des Wandels eine Hochschule in der Nachbarschaft zu haben?


 
Text: Mike Altmann
Fotos: Paul Glaser
 

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