02.03.2021 - Verkehr

Wer ist der Melker und wer ist die Kuh?

Unter der beachtenswerten Überschrift „Die Stadträte wollen uns melken“ ist heute in der Lokalausgabe der Sächsischen Zeitung vom Unmut verschiedener Anbieter von Stadtrundfahrten zu lesen, die nach einem Beschluss des Görlitzer Stadtrates ab der bevorstehenden Saison zum ersten Mal Gebühren für ihre Standplätze bezahlen sollen. Das kommentiert Axel Krüger, Sprecher des Kommunalpolitischen Netzwerks Motor Görlitz e.V.:
 
„Die Stadträte“ also. Die ehrenamtlich mit enorm hoher Arbeitsbelastung die Interessen der Görlitzer Bürgerschaft vertreten. Die um gerechte, kluge und nachhaltige Lösungen für die städtischen Herausforderungen ringen. Diese Stadträte werden nun also zu Melkern. Zapfen die warme Geldmilch aus den Eutern von Stadtschleicher, Görliwoodbus und den anderen Rundfahrtkühen, um fettglänzende Butter für die Frühstücksbemme draus zu schlagen.
 
Blättern wir ein paar Jahre zurück. 2002 setzen die ersten Stadtrundfahrten ein. 2005 springt Taxiunternehmer Ingo Menzel, der in besagtem Artikel intensiv schimpfend zu Wort kommt,  auf diesen Zug auf und beginnt mit seinem Stadtschleicherbus Görlitzer und touristische Gäste umherzufahren. Ohne Gebühr an die Stadt zu errichten. Er und seine Kollegen und Wettbewerber benutzen die mit immensen Mitteln traumhaft sanierte Görlitzer Altstadt als kostenlosen Start- und Zielplatz für ihr Angebot.
 
Jeder Gastronom, der Stühle und Tische in den öffentlichen Verkehrsraum stellt, jede Einzelhändlerin, die einen Werbeaufsteller auf dem Gehweg platziert, sie alle reiben sich die Augen. Denn selbstverständlich zahlen sie dafür ins Stadtsäckel ein.
 
Man kann solche Rundfahrten als ein begrüßenswertes Angebot zum Erlebbarmachen einer Stadt betrachten. Man darf aber auch einmal darüber nachdenken, dass ein Gebrauch und Verbrauch von städtischer Lebensqualität damit einhergeht. Wir haben die unschönen Bilder aus den Lagunen Venedigs vor Augen, in die riesige Kreuzfahrschiffe eindringen. Oder die Menschenmassen, die sich auf den Ramblas in Barcelona gegenseitig die Nordic Walking Stöcke in die Waden hauen und sich wie ein gefräßiger Lindwurm durch die idyllische Altstadt von Dubrovnik drängeln. Wem das zu weit weg ist, der kann sich gerne auch geistig nach Dresden versetzen. Rund um die Frauenkirche hat die Aufenthaltsqualität auch durch die explosionshafte Vermehrung von Touristengruppen binnen weniger Jahre unglaublich gelitten.
 
Zurück nach Görlitz. Ja, wir zählen (noch) nicht zu den überlaufenen Hotspots der Welt. Ja, es ist noch gut Luft nach oben in Punkto Städtetourismus. Und gleichzeitig Nein: wir müssen uns die Fehler der anderen doch nicht zum Vorbild nehmen. Viele beliebte Destinationen leiden inzwischen sehr darunter, dass sie die kostenlose Nutzung ihrer wertvollen Substanz nicht mehr gesteuert bekommen und damit allmählich qualitativ ausbluten.
 
Lasst uns klug abwägen, wie wir die Zügel in der Hand behalten. Lasst uns auskömmliche Gebühren erheben für die Nutzung des Stadtraumes, der uns von den Ahnen übergeben wurde und den wir unseren Enkeln weitergeben wollen.
 
Ein kleines Rechenbeispiel zum Schluss: Der Stadtschleicherbus hat 45 Sitzplätze. Er fährt zur Saison vier- bis fünfmal am Tag ab. Hinzu kommt der Cabriobus des gleichen Unternehmens mit 20 Plätzen und zwei Abfahrten täglich. Erwachsene zahlen derzeit 12,10 € für eine Tour, Kinder von 0 bis 14 Jahre werden mit 9,10 € zur Kasse gebeten. Bei einer angenommenen Auslastung von 50% kommen hier konservativ berechnet Monatsumsätze von über 30.000 € zusammen, die die architektonisch einmalige Kuh Görlitz den fleißigen Melkern am Buslenker beschert. Lasst uns redlich bleiben, wenn wir über Last und Lust in unserer Stadt sprechen.
 
 

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