03.05.2022 - Schule

Hörsaal und Klassenzimmer im Wechsel

„Sag mir, wo die Lehrer sind“ – unter diesem Motto fand am 2. Mai der Motor-Montag im Art Goreliz statt. Nachdem die Mehrheit des Görlitzer Stadtrates erklärte, dass das Thema Lehrermangel keine kommunale Angelegenheit sei, hat die Stadtbewegung Motor Görlitz den Ball aufgenommen. Als engagierter Gast wurde Kreiselternrat Ronald Lindecke eingeladen. Er konfrontierte die mehr als 30 Gäste zunächst mit Zahlen: Von 2.000 Lehrerinnen und Lehrern im Landkreis Görlitz gehen in den kommenden zehn Jahren 1.300 in Rente. Es wachsen nicht ansatzweise ausreichend junge Pädagogen nach. Die Idee, mit einer Kampagne Lehrer aus anderen Teilen Deutschlands nach Görlitz zu locken, scheint wenig erfolgversprechend. Denn mittlerweile sind bundesweit 85.000 Stellen unbesetzt. Da die Geburtenzahlen steigen und die Zuwanderung aus anderen Ländern zunimmt, wird sich das Problem noch verschärfen.

 

Ronald Lindecke war nicht zu Motor gekommen, um zu jammern. Er möchte zur Lösung beitragen. Vorgestellt wurde ein Konzept zur regionalen Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern an der Hochschule Zittau/Görlitz. Die Besonderheit: Es soll ein duales Studium sein, für das es eine Vergütung gibt. Zukünftige Lehrkräfte würden regelmäßig zwischen Hörsaal und Klassenzimmer wechseln, um Unterrichtspraxis zu sammeln. Damit könnte sich das Studium stärker an der Praxis orientieren. Durch die Vergütung entstünde zudem mehr Bildungsgerechtigkeit. Abschlüsse könnten schneller erreicht werden, wenn man nicht auf einen Nebenjob angewiesen ist. Für die Studierenden wäre ein solches Modell auch deshalb von Vorteil, weil sie früh mit dem Schulalltag konfrontiert werden. Wem das nicht liegt, kann rechtzeitig einen anderen Weg einschlagen. Durch den praktischen Einsatz in Schulen hofft Lindecke auch auf eine stärkere Bindung an die Region. Denn viele Lehramts-Absolventen verlassen den Freistaat und heuern in anderen Bundesländern an.


Die Hochschule Zittau/Görlitz hat Erfahrung mit dualen Studiengängen. Mit ihrem KIA-Modell (Kooperative Ingenieurausbildung) ist sie Vorreiterin auf diesem Feld. Auch die pädagogische Ausbildung ist kein Neuland. Derzeit kann man in Zittau Ingenieurpädagogik Maschinenbau studieren und wird bereits im Praktikum an Berufsschulen eingesetzt. Ronald Lindecke geht davon aus, dass mit entsprechendem politischen Rückenwind eine duale Ausbildung für Lehrkräfte innerhalb eines Jahres starten könnte. Beginnend mit Grundschullehrern und Lehrerinnen für die MINT-Fächer.

 

Die Runde beim MOTOR-Montag zeigte sich offen für diesen neuen Ansatz. Aktive und angehende Lehrerinnen und Lehrer berichteten über Licht und Schatten im sächsischen Schulsystem. Für mehr Lehrkräfte braucht es neben zusätzlichen Ausbildungswegen weitere Veränderungen. Das beginne bereits in den Schulen selbst, erzählt eine junge Referendarin. Wo es keine gute Betreuung gibt, bleibt man nicht. Deshalb übernehmen in einer Schule in Weißwasser die jüngeren Kollegen die Betreuung der Referendare. Ohne großen Altersunterschied kommt ein solches Tandem besser in Fahrt, so die Erfahrung des Lehrers aus dem Norden des Landkreises. Stadträtin Jana Krauß (Bündnisgrüne), selbst Doktorin der Biologie, regte mehr Flexibilität für den Einsatz von Quereinsteigern an. Frauen und Männer, die aus anderen Berufsfeldern in den Schulbetrieb einsteigen, sollten das zunächst stundenweise tun können.

 

Motor-Sprecher Axel Krüger sagte mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Görlitz: „Die Qualität der schulischen Ausbildung wird in den kommenden Jahren zum harten Standortfaktor. Stundenausfall und volle Klassen wirken nicht anziehend auf junge Familien, die wir dringend benötigen, wenn wir neue Unternehmen und Forschungsinstitute ansiedeln wollen.“ Fakt ist: Der Lehrermangel ist bereits in vollem Gang. Mit neuen Ansätzen kann das Problem in den kommenden Jahren lediglich abgemildert werden. Selbst dafür braucht es schnelle Entscheidungen. Druck aus den Kommunen in Richtung Dresden kann dabei nicht schaden. Denn die Städte und Gemeinden müssen es ausbaden, wenn aufgrund von Lehrermangel die Standortattraktivität sinkt.

 

Mike Altmann, Stadtrat von Motor Görlitz, sagte nach der Veranstaltung: „Der gesamte Stadtrat sollte sich mit diesem Thema beschäftigen und den Kreiselternrat einladen. Ein solches Angebot gab es bereits zu Jahresbeginn. Vielleicht braucht es auch mehr Druck von außen. Leidtragende des Lehrermangels werden die Kinder sein. Deren Eltern sollten sich stärker artikulieren. Dafür wäre ein Stadtelternrat als Sprachrohr hilfreich.“

 

Die Ausbildungs-Initiative des Kreiselternrats und der Hochschule Zittau/Görlitz wird in den kommenden Wochen mit weiteren Kreisen besprochen. Die Stadtbewegung Motor Görlitz hofft auf eine zügige Umsetzung eines dualen Studiums für Lehrerinnen und Lehrer in der Region. Motor-Sprecher Krüger zeigte sich zufrieden mit dem Abend: „Man kann von einer solchen Runde nicht die Lösung eines Problems erwarten, das seit einem Jahrzehnt nur unzureichend von verantwortlicher Stelle bearbeitet wird. Wir sehen aber erfreut, dass diese Themenabende eine bunte Mischung an Menschen zusammenbringen. Diesen Weg werden wir als Stadtbewegung Motor Görlitz fortsetzen.“

 

Foto: Paul Glaser
 

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